Der Tag, an dem Nirvana explodierten
Am 17.08.1991 entlädt sich in einem Filmstudio in Culver City eine Energie, die nicht mehr einzufangen ist. Nirvana drehen „Smells Like Teen Spirit“ – und setzen eine weltweite Poprevolution in Gang.
Am 17.08.1991 entlädt sich in einem Filmstudio in Culver City eine Energie, die nicht mehr einzufangen ist. Nirvana drehen „Smells Like Teen Spirit“ – und setzen eine weltweite Poprevolution in Gang.
Am Morgen des 17. August 1991 treffen Kurt Cobain, Krist Novoselic und Dave Grohl in einem schlichten Hangar südlich von Los Angeles ein. Das Set ist improvisiert, die Stimmung angespannt. Hier, in den GMT Studios von Culver City, wird das Musikvideo zu „Smells Like Teen Spirit“ gedreht. Niemand ahnt an diesem Samstag, dass dieser eine Clip wenige Wochen später die Grundfesten der Popwelt erschüttern wird.
Bis zu diesem Punkt war Nirvana eine kleine, wütende Band aus Seattle. Ihr erstes Album „Bleach“ war roh, laut, ein Liebling der Indie-Szene, aber weit entfernt von Massentauglichkeit. Doch das neue Material – aufgenommen mit Produzent Butch Vig – klingt fokussierter. „Nevermind“, das zweite Album, soll im September erscheinen. Die Plattenfirma glaubt an das Potenzial der ersten Single. Der Song hat Kraft. Samuel Bayer, der Regisseur des Clips, hat bis dahin keine Erfahrung mit Musikvideos. Er entwirft ein Konzept, das zwischen Schul-Ästhetik und Rebellion changiert. Eine trostlose Turnhalle mit Tribünen. Cheerleader in Anarchie-Uniformen. Ein gelangweilter Hausmeister, der die Szene mit Desinteresse verfolgt. Samuel Bayer will eine amerikanische Pep-Rallye in den Wahnsinn kippen lassen. Doch als die Kameras laufen, merkt er schnell: Die Energie von Nirvana sprengt jede Kontrolle.
Die Stimmung beim Dreh ist seltsam aufgeladen. Rund 200 Jugendliche wurden über Flyer gecastet – junge Menschen, die aussehen, als würden sie wirklich zu Nirvana auf Konzerte gehen. Man verspricht ihnen Pizza und einen Platz in einem Musikvideo. Doch nach Stunden des Playbacks, in stickiger Luft und unter grellem Licht, wird aus passiver Erwartung Frustration. Dann platzt Kurt Cobain der Kragen. Er ruft in die Menge: „Stürmt die Bühne. Macht kaputt.“
Was folgt, ist keine Choreografie. Es ist ein unkontrollierter Ausbruch. Die Kids rennen los, reißen Requisiten um, springen in die Kameras. Dave Grohl prügelt auf sein Schlagzeug ein, als wolle er es vernichten. Krist Novoselic wirbelt seinen Bass durch die Luft. Kurt Cobain taumelt über die Bühne wie ein Dämon auf Valium. Der Lärm wird real. Die Aggression auch. Die Kameras laufen weiter. Samuel Bayer ist überfordert, aber er filmt. Er weiß: Was hier passiert, ist nicht inszeniert. Es ist das, was dem Clip gefehlt hat. Chaos, Schweiß, Zerstörung. Kein Make-up. Kein Filter. Nur rohe Energie.
Der erste Rohschnitt des Clips gefällt Kurt Cobain nicht. Zu klar, zu sauber. Zu sehr MTV. Er greift selbst zum Schnittpult, verändert den Rhythmus, legt Close-ups über die schnellen Szenen, taucht das Video in Dunkelheit. Vor allem will er sich selbst nicht als Held zeigen – sondern als Teil des Tumults. Erst dieser Re-Edit wird veröffentlicht. Als „Smells Like Teen Spirit“ Ende August auf MTV landet, passiert das Unvorhergesehene. Der Song wird sofort zum meistgewünschten Clip. Innerhalb weniger Tage klettert er in die Rotationen, drängt sich zwischen Mainstream-Pop und Hair Metal. Radiostationen berichten von Höreransturm. Nirvana ist plötzlich überall – ohne Promo, ohne große Inszenierung. In den Wochen danach beginnt eine neue Zeitrechnung. Junge Menschen auf der ganzen Welt sehen sich zum ersten Mal gespiegelt. Nicht durch Models oder Stars, sondern durch Gleichaltrige, die wütend, verunsichert, aber echt wirken. Der Look des Videos – Flanellhemden, Jeans, lange Haare, leerer Blick – wird zum neuen Code. Nirvana wird zur Marke, obwohl sie nie eine sein wollten.
Der 17. August 1991 war nicht nur der Dreh eines Clips. Es war ein kultureller Wendepunkt. „Smells Like Teen Spirit“ markiert den Anfang vom Ende der Glam-Ästhetik, der glattgebügelten Superproduktionen, der kalkulierten Rockstars. Nirvana zerschmettern diese Welt mit vier Akkorden und einer Refrainzeile, die klingt wie eine Kapitulation und ein Aufschrei zugleich. Das ist Grunge. Was an dem Tag fast zufällig geschah, wurde zum Mythos. Ein einziger Tag, an dem sich alles auflädt: der Frust einer Generation, das Unbehagen an der Welt, die Sehnsucht nach Relevanz. Inmitten dieser Explosion steht eine Band, die nie geplant hatte, so groß zu werden. Nirvana.
Heute, über drei Jahrzehnte später, wirkt dieser Tag fast surreal. Drei Männer, ein Song, ein Raum – und eine Reaktion, die niemand steuern konnte. Nirvana wurden an diesem Tag nicht berühmt. Sie wurden unausweichlich. Und das ist jetzt unfassbare 34 Jahre her.