Zwischen HipHop, Techno und Zitronenbaum
In den 90ern war Baden-Württemberg musikalisch viel mehr als Ländle-Idylle: Rap aus Stuttgart, Techno aus Mannheim – und ein Welthit aus einem Dorf im Schwarzwald.
In den 90ern war Baden-Württemberg musikalisch viel mehr als Ländle-Idylle: Rap aus Stuttgart, Techno aus Mannheim – und ein Welthit aus einem Dorf im Schwarzwald.
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Heimat ist für mich der Platz, wo ich mich sehr, sehr wohl fühle… das ist hier in Süddeutschland, denn ich komme aus einem kleinen Dorf im Nordschwarzwald.
Mit dem Aufstieg der Fantastischen Vier kam Stuttgart 1992 schlagartig auf den Deutschrap-Radar. „Die da!?!” war kein Szene-Ding mehr – es war Pop. Der Song schoss durch die Decke, und plötzlich interessierte sich ganz Deutschland für das, was da im Süden passierte. Doch der echte Unterbau kam etwas später: Die Kolchose war das entscheidende Netzwerk – ein loserer Verbund aus Acts wie Freundeskreis, Massive Töne, Afrob, Skillz en Masse oder Breite Seite. Ihre Musik war reflektiert, jazzig, politisch, aber nie predigend. Sie erzählten von Identität, Zugehörigkeit, Jugendkultur – aber eben aus Stuttgarter Perspektive. Parallel etablierten sich Clubs wie das Red Dog, das M1 oder das sagenumwobene Oz als Szene-Orte für HipHop, aber auch für elektronische Musik. Stuttgart war zu diesem Zeitpunkt keine Randnotiz, sondern Zentrum einer neuen Urbanität – made in Schwaben.
In Mannheim entwickelte sich parallel eine lebendige Techno-Szene. Die erste Time Warp fand 1994 statt und etablierte sich schnell als eines der wichtigsten Techno-Events Europas. Internationale DJs wie Sven Väth und Richie Hawtin machten Mannheim zu einem festen Bestandteil der elektronischen Musiklandschaft. Gleichzeitig entstand mit den Söhnen Mannheims ein Kollektiv, das verschiedene Musikstile vereinte und die kulturelle Vielfalt der Stadt widerspiegelte.
Heidelberg brachte mit Advanced Chemistry eine der ersten deutschen HipHop-Gruppen hervor, die sich explizit mit politischen Themen auseinandersetzte. Ihr Song „Fremd im eigenen Land“ wurde zum Meilenstein des Conscious Rap in Deutschland. Die Heidelberger Szene war geprägt von intellektueller Tiefe und einem starken Bewusstsein für soziale Gerechtigkeit.
Doch Baden-Württembergs Musikszene der 90er spielte sich nicht nur in den urbanen Kernen ab. Auch weit abseits der Scheinwerfer entstand Pop mit internationaler Strahlkraft – zum Beispiel im Nordschwarzwald. Kaum fünf Tausend Menschen leben in Neuhausen im Enzkreis. Genau hier gründete Peter Freudenthaler 1991 Fools Garden – und von genau hier aus schoss 1995 ihr „Lemon Tree“ in über zwölf Ländern an die Chart-Spitzen. Der Song, an einem Sonntagnachmittag im Schlafzimmer geschrieben, bewies, dass Pop-Magie nicht zwingend Stadtluft braucht. Aus einer schwäbischen Idylle wurde binnen Monaten einer der größten Radio-Ohrwürmer des Jahrzehnts – ein Ohrwurm, der bis heute weltweit in Playlists auftaucht. Dieser Erfolg aus der Provinz erweitert das musikalische Südwest-Panorama um eine charmante Fußnote: Während Stuttgart, Mannheim und Heidelberg die großen Bühnen besetzten, zeigte Neuhausen, dass auch der kleinste Fleck auf der Landkarte zum Taktgeber einer ganzen Dekade werden kann.
Die Popakademie Baden-Württemberg wurde 2003 gegründet – aber eigentlich war sie schon in den 90ern geboren. Denn das, was in Stuttgart, Mannheim, Heidelberg und sogar Neuhausen im Enzkreis musikalisch passierte, blieb nicht folgenlos. Baden-Württemberg hatte sich als Standort für Pop, Rap, Techno und Songwriting profiliert. Was fehlte, war eine Struktur, die all das bündelte, förderte, institutionalisierte. Die Idee zur Popakademie entstand Ende der 90er genau aus diesem Momentum heraus: Musik war im Land nicht nur Ausdruck, sondern Standortfaktor geworden.
Einer der Geburtshelfer dieser Idee war Dieter Gorny, damals bereits eine zentrale Figur im deutschen Musikbusiness. 1993 hatte er mit der Gründung von VIVA einen deutschen Gegenpol zu MTV etabliert – ein Sender, der das Soundbild der 90er wesentlich prägte und auch Acts aus dem Süden Deutschlands auf den Bildschirm brachte. Als Vorsitzender der Phono-Akademie pushte Dieter Gorny ab Ende der 90er den Gedanken einer modernen Pop-Hochschule – in Baden-Württemberg fand er das passende Pflaster. Unterstützt vom Land und mit Rückendeckung der Rockstiftung Baden-Württemberg entstand in Mannheim schließlich die erste staatlich anerkannte Hochschule für Popmusik und Musikwirtschaft in Deutschland.
Die Popakademie ist eine Leuchtturminstitution des Landes.
Die 90er Jahre waren für Baden-Württemberg eine Zeit des musikalischen Aufbruchs. Zwischen HipHop und Techno entwickelte sich eine vielfältige und innovative Musikszene, die bis heute nachwirkt. Städte wie Stuttgart, Mannheim und Heidelberg wurden zu wichtigen Knotenpunkten der deutschen Musiklandschaft und prägten eine Generation von Künstlern und Fans.