The Future Sound of London: alte Platte – neue Tracks
2017 erschien „The SX One Live Improvisations“ nur digital. Jetzt legen Garry Cobain und Brian Dougans nach – mit neuen Stücken, neuem Mix und erstmals auf Vinyl und CD.
2017 erschien „The SX One Live Improvisations“ nur digital. Jetzt legen Garry Cobain und Brian Dougans nach – mit neuen Stücken, neuem Mix und erstmals auf Vinyl und CD.
Die 90er waren nicht nur Party ohne Pause. Selbst die härtesten Techno Heads wussten: Nach dem Höhenflug braucht es eine Landung. Irgendwo zwischen Ekstase und Erschöpfung wurde Platz für eine neue Stimmung – einen Sound zum Runterkommen, Reflektieren, Schweben. So entstand etwas völlig Neues: CHILL OUT.
The Future Sound of London veröffentlichen ein Re-Issue von „The Extended SX One Live Improvisations“ – ein Album, das fast vier Jahrzehnte Elektronikgeschichte in sich trägt. Die physischen Ausgaben sind ab November 2025 erhältlich – aus diesem Anlass werfen wir einen Blick zurück.
Im Frühjahr 1991 befand sich England im Rausch. In Manchester pulsierte die Haçienda, in London wurde in Lagerhallen getanzt, in Frankfurt vibrierte das Omen unter Sven Väth. Aus Detroit kamen die Techno-Imports, und Acts wie The Prodigy, LFO und Orbital verwandelten die Jugendkultur in einen Ausnahmezustand aus Beats und Neonlicht. In diesem Umfeld veröffentlichten The Future Sound of London ihren Track „Papua New Guinea“ – und stellten alles auf den Kopf.
Der Song klang nach Trance, ohne Trance zu sein. Nach Club, aber auch nach Meditation. Der Bass entstammte „Radio Babylon“ von Meat Beat Manifesto, einem Industrial-Projekt, das Rhythmus und Samplekunst vereinte. Die mystische Frauenstimme stammte aus „Dawn of the Iconoclast“ von Dead Can Dance, deren Album „Aion“ durch seine Mischung aus Sakralgesang und Weltmusik auffiel. Diese ungewöhnliche Kombination machte „Papua New Guinea“ zu einer Zäsur – zwischen den Welten, zwischen den Zeiten. Der britische DJ Sasha erinnerte sich später:
„Es hat mich völlig umgehauen. So etwas hatte ich in meinem ganzen Leben noch nie gehört.“
„Papua New Guinea“ war der Moment, in dem elektronische Musik mehr Emotionen einforderte. Während deutsche Künstlerinnen und Künstler wie Marusha oder Westbam den Rave auf Tempo trieben und die Loveparade mit harten Beats unterlegt wurde, suchten Garry Cobain und Brian Dougans nach Tiefe. Der Song schaffte es bis auf Platz 22 der britischen Charts, wurde in Clubs wie dem Tresor und dem Dorian Gray und gespielt – und gilt heute als Grundstein für den britischen Ambient Techno.
Nach dem Erfolg von „Papua New Guinea“ hätte alles einfach sein können. Doch The Future Sound of London wollten nicht den Weg gehen, den Acts wie The KLF gerade so erfolgreich gingen. Während die selbsternannten „Lords of Mu Mu“ 1991 mit „3 a.m. Eternal“ und „Last Train to Trancentral“ die Charts stürmten und Rave-Pop zur Massenbewegung machten, zogen sich Garry Cobain und Brian Dougans zurück. Sie wollten keine Hits schreiben, sondern Klangräume erforschen. Ihr Debütalbum „Accelerator“ brachte ihnen 1992 internationale Aufmerksamkeit, aber anstatt den Dancefloor weiter zu bedienen, zogen sich Garry Cobain und Brian Dougans ins Studio zurück.
1994 erschien „Lifeforms“ – ein Album, das Clubmusik hinter sich ließ. Kein Drop, kein Refrain, stattdessen Ambientflächen, organische Samples, Field Recordings. 1996 folgte „Dead Cities“, ein düsteres, von Endzeitvisionen geprägtes Werk. In Interviews sprachen sie kaum, auf Tour gingen sie nie. Stattdessen erschufen sie ein ganzes Universum aus Aliasen: Amorphous Androgynous für psychedelischen Rock, Humanoid für Acid, dazu die Serien „From the Archives“ und „Environments“, in denen sie ihr eigenes Studioarchiv als Werkstoff benutzten. The Future Sound of London wurden zu einer Laborband – man kann auch sagen, sie machten ihren Bandnahmen zum Motto. In den 2000ern näherten sich Garry Cobain und Brian Dougans wieder ihren analogen Wurzeln. Sie nahmen klassische Instrumente in die Hand, dachten teilweise sogar in Britpop-Sounds.
Das Album „The Extended SX One Live Improvisations“ ist keine klassische Studioplatte. Es basiert auf Sessions mit dem von Brian Dougans selbst entwickelten Synthesizer, einem modularen System aus analogen Bausteinen. Die Stücke wurden in Echtzeit eingespielt, ohne nachträgliche Bearbeitung. Jeder Track ist eine Momentaufnahme – das, was in einer bestimmten Stunde im Studio passierte. Das kann man Live-Musik nennen, trifft es aber dann doch nicht ganz. Im Vergleich zu den frühen Werken von The Future Sound of London ist das Ergebnis freier, roher, organischer. Kein poliertes Sounddesign.
Nun erscheint das 2017er Album neu. Auf dem bandeigenen Label. Es ist deutlich länger geworden. Und erstmals kommt die Platte als Doppel-Vinyl und CD – mit exklusive Mixen und zusätzlichen Improvisationen. Seit Ende September 2025 ist die neue „The Extended SX One Live Improvisations“ digital erhältlich – ganz still, fast beiläufig. Doch die eigentliche Veröffentlichung steht noch bevor: Diesen Monat erscheinen die physischen Versionen auf Vinyl und CD, in streng limitierter Auflage. Für Garry Cobain und Brian Dougans der entscheidende Moment - wenn man die Platte wirklich in den Händen hält. Zumindest kann man schon reinhören und bestätigen: Jahrzehnte später klingen The Future Sound of London immer noch nach Zukunft.