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De-Phazz
  IMAGO / Dreamstime
De-Phazz
06.08.2025

Die 90s – als Jazz zerlegt wurde

Mit dem 20. Studioalbum „Luck You!“ öffnen De-Phazz ihre Cut’n’Paste-Welt erstmals für echte Bandchemie – und bleiben doch ihrem Prinzip aus den 90ern treu.

A Man Called Adam mit Estelle

CHILL OUT

CHILL OUT

Eine sanfte Klangdecke mit Ambient-Beats und sonnendurchfluteten Melodien. Auf Ibiza mixte José Padilla in der goldenen Stunde über der Bucht am Café del Mar einen Soundtrack für Sonnenuntergänge - das ist 90s90s Chill Out!


Es läuft:
A Man Called Adam mit Estelle
Detunized Gravity
Detunized Gravity

Wie revolutionär war das De-Phazz-Debüt Detunized Gravity – und was macht Pit Baumgartner mit dem neuen Album Luck You! heute anders?

Ein Loop. Ein Kontrabass. Eine verwaschene Stimme aus einem ganz anderen Jahrzehnt. 1997 wirkte das, was Pit Baumgartner damals mit De-Phazz veröffentlichte, wie ein UFO im deutschen Pop. Die Tracks auf „Detunized Gravity“ klangen, als hätte man einen Jazz-Club zerschnitten, geloopt, auf Dub getrimmt – und das Ganze durch einen ironischen Filter geschickt, der mehr mit Hörspiel und Klangkunst zu tun hatte als mit klassischer Popmusik. Tatsächlich aber stammte dieses Sounduniversum aus Heidelberg. Heute, fast drei Jahrzehnte später, legt Pit Baumgartner mit „Luck You!“ das 20. Studioalbum seines Projekts vor. Und wieder klingt es, als würde jemand Lounge-Musik neu verkabeln – nur diesmal mit mehr Band als Sample. Mehr Mensch, weniger Maschine.

Pit Baumgartner (2001)
IMAGO / POP-EYE
Pit Baumgartner (2001)

Detunized Gravity – eine musikalische Revolution aus Deutschland

Das Jahr war 1997. Während Massive Attack ihren melancholischen Trip-Hop zur globalen Marke machten und Kruder & Dorfmeister in Wien Lo-Fi-Ästhetik und Jazz neu verbanden, schlich sich ein deutscher Außenseiter aufs Spielfeld – und veränderte alles. „Detunized Gravity“, das Debütalbum von De-Phazz, erschien auf dem Label Mole Listening Pearls und verband staubige Vinyl-Samples mit Live-Bläsern, verschleppte HipHop-Grooves mit Crooner-Vocals und Dub-Bass mit Soul-Zitaten. Alles wurde collagiert, verschoben, geloopt. Und alles war durchzogen von einem Sound, den man so bisher nicht mit Deutschland in Verbindung gebracht hatte.

Pit Baumgartner war schon vor De-Phazz als Klangbastler bekannt – er arbeitete für Hörspielproduktionen und Theatermusik, bevor er begann, Musik wie Film zu denken. Für „Detunized Gravity“ baute er ein klangliches Panoptikum, bei dem Jazz nicht nach Konzert, sondern nach Montagetisch klang. Besonders deutlich wird das im Stück „Cut the Jazz“: Hier collagiert Pit Baumgartner Vocal-Fragmente von Ella Fitzgerald, Lo-Fi-Saxofonlicks und Drumloops zu einer hypnotischen Spirale, die sich wie ein Remix ohne Vorlage anhört. Es war Jazz, aber dekonstruiert. Das Album wurde auf Anhieb ein internationaler Erfolg. Die Songs tauchten auf Café-del-Mar-, Hotel-Costes- und anderen Chill-Out-Samplern auf, liefen im Fernsehen, in Design-Hotels, in Bars, in Werbungen – und waren trotzdem nie beliebig. Medien sprachen von „Future-Jazz“, andere sahen in der Platte eine „elektronische Pop-Sensation“. Kurz: Pit Baumgartner hatte mit diesem Album ein eigenes Genre erschaffen – ausgerechnet aus Deutschland heraus. Eine musikalische Revolution, die ohne großes Marketing funktionierte, sondern allein durch Klangästhetik und Samplekultur.

Heute schon für den 90s90s Countdown abgestimmt?

Karl Frierson, Pat Appleton, Pit Baumgartner
Thomas Kierok / CC BY-SA 4.0
Karl Frierson, Pat Appleton, Pit Baumgartner

Kein Frontmann, keine Band – aber ein klares Konzept

De-Phazz war nie eine Band im klassischen Sinn. Pit Baumgartner hat nie versucht, eine feste Gruppe zu etablieren. Stattdessen arbeitete er von Anfang an wie ein Regisseur: Er castete Stimmen, engagierte Musiker, produzierte Soundfragmente – und setzte alles zu einer musikalischen Collage zusammen, die in sich stimmig klang, aber nie eindeutig war. „Ich bin kein Musiker. Ich spiele nichts. Ich schneide nur zusammen“, so Pit Baumgartner in einem Interview. Seine musikalischen Werkzeuge waren Sampler, Groovebox, Cut-Software. Keine Gitarre, kein Mikro. De-Phazz war von Anfang an ein Projekt des Schnitts – nicht des Auftritts. Die Stimmen – etwa von Pat Appleton oder Karl Frierson – wechselten zwischen Soul, Scat und Spoken Word. Instrumente wurden aufgenommen, geloopt, verdreht. Die Produktion war stets geprägt von dem Wunsch, Gegensätze zu kombinieren: Alt und neu, künstlich und analog, funky und verstolpert.

De-Phazz - Overjoked (original video)
De-Phazz - Overjoked (original video)

Von der Loopmaschine zur Liveband: „Luck You!“ als neues Kapitel

Mit „Luck You!“ vollzieht Pit Baumgartner nun eine Wendung: Er öffnet sein Klanglabor stärker denn je für den organischen Moment. Zwar bleibt der Collage-Charakter erhalten, aber es ist das erste De-Phazz-Album, das tatsächlich nach „Band“ klingt – zumindest stellenweise. Kein Wunder: Der Arbeitstitel lautete intern „Bandmade“. Und das hört man. Das Album wurde mit echter Rhythm Section eingespielt – in Heidelberg, der Heimatstadt von Pit Baumgartner. Mit dabei sind wieder viele vertraute Stimmen und Musiker: Sängerin Pat Appleton, Trompeter Joo Kraus, Drummer Oli Rubow sowie Bariton-Saxofonist Marcus Bartelt. Im Opener „Gotel Grand Moondial“ treffen Bossa-Nova-Rhythmen auf jazzige Rhodes-Akkorde, Joo Kraus legt ein gestopftes Trompetensolo über einen samtigen Bass – das Ganze wirkt wie live eingespielt und trotzdem tief im De-Phazz-Kosmos verankert. „My Turntable Is Unable“ ist vielleicht das augenzwinkerndste Stück des Albums: eine selbstironische Parodie auf DJ-Eitelkeit, bei der Pat Appleton mit souliger Eleganz durch Breaks und Stopps geführt wird, die wie aus einem Live-Take klingen. Nur dass Pit Baumgartner sie natürlich digital präpariert hat. Ein Track wie „Overjoked“ zeigt, wie sich Pit Baumgartner seiner eigenen Vergangenheit nähert: Die Trip-Hop-Düsterkeit erinnert an das frühe „No Jive“, wird aber durch moderne Produktionsästhetik entschlackt.

Pat Appleton (2022)
  IMAGO / Andreas Weihs
Pat Appleton (2022)

Ein Prinzip, das sich selbst immer neu zusammensetzt

Was Pit Baumgartner mit De-Phazz seit fast 30 Jahren durchzieht, ist kein Genre, sondern eine Methode: die des musikalischen Collagens. Er hat nie behauptet, Jazzmusiker zu sein. Stattdessen kuratiert er: Stile, Stimmen, Sounds. Für „Luck You!“ hat Pit Baumgartner dieses Prinzip nicht verlassen – er hat es nur erweitert. Die Improvisationen von Joo Kraus, das perkussive Spiel von Oli Rubow, die pointierten Vocal-Phrasen von Pat Appleton: All das wird aufgenommen, geschnitten, verschoben – aber diesmal mit mehr Raum für das Zufällige, für das Echte, das Spürbare. De-Phazz war nie Retro, nie konventionell, nie leicht einzuordnen. Und mit „Luck You!“ gelingt Pit Baumgartner das Kunststück, seine musikalische Schnittstelle neu zu denken. Was einst als Sampleprojekt begann, wächst hier in Richtung Band – ohne das Prinzip der Dekonstruktion aufzugeben. Wer mit „Detunized Gravity“ aufgewachsen ist, hört sofort: Die DNA ist noch da. Nur der Atem hat sich verändert. Es ist mehr Körper im Klang, mehr Performance, mehr Spontaneität. Und dennoch ist alles genau so, wie es bei De-Phazz sein muss: ironisch, jazzig, smart.

De-Phazz - Cut the Jazz

Cut the Jazz
Cut the Jazz