Tricky
  IMAGO / tagesspiegel
Tricky
19.11.2025

Tricky – von Bristol über Berlin bis Toulouse?

Zehn Jahre lang war Berlin seine Heimat. Doch nun gibt es Gerüchte: Tricky soll die Hauptstadt verlassen haben.

Beat Foundation mit My Freedom

CHILL OUT

CHILL OUT

Die 90er waren nicht nur Party ohne Pause. Selbst die härtesten Techno Heads wussten: Nach dem Höhenflug braucht es eine Landung. Irgendwo zwischen Ekstase und Erschöpfung wurde Platz für eine neue Stimmung – einen Sound zum Runterkommen, Reflektieren, Schweben. So entstand etwas völlig Neues: CHILL OUT. 


Es läuft:
Beat Foundation mit My Freedom
Tricky (1995)
IMAGO / FAMOUS
Tricky (1995)

Wo ist Tricky aufgewachsen?

Wer Tricky verstehen will, muss in Bristol beginnen. Die Hafenstadt im Südwesten Englands trägt ein schweres Erbe: Sie war über Jahrhunderte ein Zentrum des transatlantischen Sklavenhandels. Kaufleute wie Edward Colston machten mit dem Leid anderer Menschen ihr Vermögen. Noch heute ist diese Vergangenheit sichtbar – in Straßennamen, in Gebäuden, in Denkmälern. Und sie ist spürbar: 2020 stürzten Demonstrierende in Bristol die Statue Colstons ins Hafenbecken. Ein symbolischer Akt, der zeigte, wie tief die Wunden reichen.

In dieser Stadt wuchs 1968 Adrian Nicholas Matthews Thaws auf, besser bekannt als Tricky. Seine Kindheit war von Brüchen geprägt. Seine Mutter starb früh, er wuchs bei seiner Großmutter auf, in Knowle West, einem Viertel, das nicht gerade für Aufstiegschancen bekannt war. Armut, Enge, Perspektivlosigkeit – all das prägte den Jungen. Doch Bristol hatte auch eine andere Seite: Die Stadt war ein Schmelztiegel von Kulturen. Vor allem die afro-karibische Community brachte Dub, Reggae und Soundsystem-Kultur mit. Diese prallte in den 1980ern auf Punk und elektronische Experimente. Aus diesem Gemisch entstand etwas Neues – der „Bristol Sound“.

Heute schon für den 90s90s Countdown abgestimmt?

Tricky - Black Steel
Tricky - Black Steel

Wann hat Tricky seine Solokarriere gestartet?

Tricky war mittendrin. Ende der Achtziger schloss er sich The Wild Bunch an, einem DJ-Kollektiv, das bald zu Massive Attack wurde. Dort war er zunächst ein Teil des Ganzen, schrieb Texte, rappte, brachte eine dunkle Note ein. Auf dem Debütalbum Blue Lines (1991), heute als Geburtsstunde des TripHop gefeiert, ist Tricky in mehreren Songs zu hören, am prägnantesten in „Five Man Army“. Massive Attack standen damals für einen neuen Sound – laid back, urban, politisch. Tricky war ein wichtiger Teil, aber zugleich ein Fremdkörper.

Er fühlte sich eingeengt, suchte seine eigene Ausdrucksform. Während Massive Attack weiter kollektiv arbeiteten, zog es Tricky in die radikale Einzelperspektive. 1995 veröffentlichte er sein Debütalbum „Maxinquaye“. Schon der Titel war ein Statement: benannt nach seiner Mutter Maxine Quaye, die ihn so früh verlassen hatte. Das Album klang verstörend, düster, zerrissen – eine Mischung aus HipHop-Beats, verzerrten Samples, flüsterndem Sprechgesang und der Stimme von Martina Topley-Bird. Kritiker feierten es als Meisterwerk. Für viele war „Maxinquaye“ die eigentliche Definition von TripHop, noch mehr als Massive Attack oder Portishead.

Tricky wurde zum enfant terrible des Genres, auch wenn er das Etikett ablehnte. Mit „Pre-Millennium Tension“ (1996), „Angels with Dirty Faces“ (1998) und „Juxtapose“ (1999) setzte er diesen Weg fort. Seine Musik spiegelte das Chaos seiner Herkunft, die Brüche seiner Biografie, die Schatten einer Stadt, die zwischen kolonialem Erbe und kultureller Explosion schwankte. Während Massive Attack für Eleganz und politische Haltung standen, Portishead für cineastische Melancholie, war Tricky der rohe, gebrochene Gegenpol. Bristol war sein Fundament, doch er machte daraus eine ganz eigene Sprache – zerrissen, verstörend, aber unüberhörbar.

Fifth Element - *I AM* Korben Dallas!
Fifth Element - *I AM* Korben Dallas!

Was machte Tricky neben der Musik?

1997 tauchte Tricky in einem völlig anderen Kontext auf – auf der Kinoleinwand. In Luc Bessons Science-Fiction-Epos „The Fifth Element“ spielte er an der Seite von Gary Oldman den „Right Arm“, den zwielichtigen Handlanger des Bösewichts Zorg. Es war ein kurzer, aber markanter Auftritt, der perfekt zu Trickys Aura passte: geheimnisvoll, gefährlich. Auch wenn er nie eine große Schauspielkarriere anstrebte, zeigte diese Rolle, wie stark seine düstere Ausstrahlung auch außerhalb der Musik wirkte.

Tricky (2012)
  IMAGO / Capital Pictures
Tricky (2012)

Berlin: Rückzug in eine Stadt im Wandel

2015 zog Tricky nach Berlin. Für viele wirkte das überraschend, doch für ihn war es eine logische Entscheidung. London (wo er nach Bristol hinzog) war ihm zu hektisch geworden, zu teuer, zu eng. Dann versuchte er L.A. - Los Angeles hatte er als zu künstlich empfunden. Berlin dagegen bot das richtige Tempo. „In Berlin kann man leben: einkaufen, kochen, spazieren gehen“, sagte er in einem Interview. „In London sitzt du nur im Taxi.“

Berlin war zu diesem Zeitpunkt längst keine unberührte Underground-Metropole mehr. Die Stadt hatte sich verändert. Nach der großen Club-Euphorie der 2000er begann das Clubsterben. Immer mehr Orte mussten schließen, weil Investoren kamen, weil die Mieten stiegen. Die legendäre Billig-Metropole für Künstler wurde langsam, aber sicher zur teuren Hauptstadt mit Wohnungsnot. Doch genau in dieser Spannung fühlte sich Tricky offenbar wohl. „Berlin ist die letzte große Stadt, die noch einen Vibe hat“, sagte er. Für Tricky bot Berlin Anonymität. Er konnte dort untertauchen, im Prenzlauer Berg leben, ohne ständig erkannt oder belagert zu werden. Die Stadt erlaubte ihm einen Alltag, den er in London nicht hatte: kleine Dinge, einfache Dinge, weit weg vom Musikzirkus. Und trotzdem blieb die Szene nah: Clubs, Studios, Produzenten, Kollaborationen – alles war erreichbar, ohne dass er Teil einer Industrieblase sein musste. Musikalisch wurde Berlin zu einem wichtigen Ort. Hier entstand das Tricky-Album „Ununiform“ (2017), sein erstes Werk aus der Hauptstadt. Es war geprägt von Schmerz und Verlust. 2019 starb seine Tochter Mazy Mina, ein Schock, der ihn zeichnete. In „Ununiform“ klingt bereits die Reduktion an, die sein Spätwerk ausmacht: weniger Bombast, mehr fragmentarische Songs. Berlin wurde für Tricky zu einem Ort des Rückzugs, aber auch der Verarbeitung. Dass die Stadt sich veränderte, passt dabei fast symbolisch. Tricky lebte in einer Stadt, die selbst ständig im Wandel war. Während Berlin teurer und glatter wurde, hielt er an seiner Suche nach Einfachheit fest. Vielleicht war genau dieser Widerspruch der Grund, warum es für eine Zeit so gut passte: ein Musiker, der Chaos in Musik verwandelte, und eine Stadt, die ihre eigene Freiheit langsam an den Immobilienmarkt verlor.

Tricky
  IMAGO / tagesspiegel
Tricky

Toulouse: Gerüchte und Möglichkeiten

In den letzten Jahren tauchten Gerüchte auf, Tricky habe Berlin verlassen und lebe nun in Toulouse. Bestätigt ist das nicht, aber die Hinweise sind hartnäckig. Manche Interviews deuten an, dass er viel Zeit in Südfrankreich verbringt, andere Quellen schreiben ihn direkt dort fest. Sicher ist nur: Es gibt Gründe, warum Toulouse für einen Künstler wie Tricky attraktiv sein könnte.

Die Stadt im Süden Frankreichs gilt als „Ville des Musiques“ – Stadt der Musik. Sie hat eine lebendige Szene, die von Klassik bis HipHop reicht. Besonders bekannt ist das Festival Les Siestes Électroniques, das seit Jahren experimentelle elektronische Musik ins Freie bringt. Auch das Rose Festival zeigt, wie stark urbane Genres in Toulouse verankert sind. Daneben gibt es eine reiche Clubkultur, Jazz, Indie, Electro. Toulouse ist kleiner und überschaubarer als Berlin oder London, aber gerade das macht ihren Reiz aus. Für Tricky könnte Toulouse das bieten, was Berlin irgendwann nicht mehr geben konnte: Ruhe. Berlin war der Rückzug aus der Hektik Londons, Toulouse wäre der Rückzug aus dem Rückzug – eine weitere Stufe der Entschleunigung. Hier könnte er leben, ohne ständig Teil einer Szene sein zu müssen, und trotzdem in einem kreativen Umfeld. Ob Tricky wirklich dort lebt, bleibt ungewiss. Vielleicht ist es nur ein Gerücht, vielleicht eine Zwischenstation. Aber die Vorstellung passt: Ein Künstler, der immer Orte gesucht hat, die zu seiner inneren Verfassung passen. Bristol war Explosion, Berlin war Rückzug, Toulouse der nächste Schritt. Ironie: die Berliner haben weitgehend nicht mitbekommen, dass der große TripHop-Star der 90er in ihrer Stadt gelebt hat!

Tricky - Aftermath

Tricky - Aftermath
Tricky - Aftermath