Vor 30 Jahren: Die Leftism-Ära endet
Mit Afro-Left veröffentlichten Leftfield ihre siebte und letzte Single aus dem Kultalbum Leftism. Ein Abschied in Bass, Mythos und viel musikalischer Weitsicht.
Mit Afro-Left veröffentlichten Leftfield ihre siebte und letzte Single aus dem Kultalbum Leftism. Ein Abschied in Bass, Mythos und viel musikalischer Weitsicht.
Eine sanfte Klangdecke mit Ambient-Beats und sonnendurchfluteten Melodien. Auf Ibiza mixte José Padilla in der goldenen Stunde über der Bucht am Café del Mar einen Soundtrack für Sonnenuntergänge - das ist 90s90s Chill Out!
Im Sommer 1995 endete etwas, das erst Jahre später als Blaupause für elektronische Albumkunst begriffen werden sollte: Leftfield veröffentlichten am 24. Juli mit „Afro-Left“ die letzte Auskopplung aus ihrem Debütalbum „Leftism“. Das Cover: kryptisch. Die Vocals: kaum entzifferbar. Der Groove: so fremdartig wie hypnotisch. Für Fans war klar: Dies war nicht nur eine weitere Single – „Afro-Left“ war der letzte Gruß aus einem Klanguniversum, das man so bald nicht wieder betreten durfte.
Frühjahr 1995, London, ein Club irgendwo südlich der Themse. Nebelmaschine. Stroboskop. Und dann dieser Track: „Original“.
„You’re an original, got your own path…“
Kein schneller Breakbeat, kein Acid, kein Four-to-the-Floor. Stattdessen: eine kalte Frauenstimme, schwebend über tiefem Dub, durchzogen von ungreifbaren Flächen. Fast schon beunruhigend in ihrer Ruhe. Für viele war das der Moment, in dem elektronische Musik plötzlich nach Innen ging. „Original“ war die dritte Single aus „Leftism“, erschien am 13. März 1995 – und wurde zu einer echten Zäsur. Zum ersten Mal tauchten Leftfield bei Top of the Pops auf, und zum ersten Mal wirkte elektronische Musik dort nicht wie Chart-House oder harter Rave, sondern wie ein Statement.
Die Stimme kam von Toni Halliday, bekannt aus dem Duo Curve. Sie schrieb die Vocals selbst – auf Basis eines 12-minütigen Instrumental-Loops, den Leftfield ihr auf DAT zugeschickt hatten. Was sie daraus machte, beschrieb sie später als „Szene in einem imaginären Film“. Und genau so hörte es sich an: wie eine düstere Elegie auf die Rave-Ära, wie ein Abschiedslied auf alles, was die frühen 90er versprachen. Melody Maker feierte den Track als „Single der Woche“ und verglich ihn mit „dem Start eines Raumschiffs“. Die NME nannte es „ein meisterhaftes Konstrukt“ – und meinte damit vermutlich nicht nur den Track, sondern das Album „Leftism“ als Ganzes. Denn „Original“ war der Moment, in dem klar wurde: Leftfield machen keine Clubmusik mehr – sie machen Albenkunst. Inmitten einer Szene, die sich gerade zersplitterte – Big Beat, Jungle, TripHop, UK Garage – lieferten Neil Barnes und Paul Daley mit „Leftism“ ein Werk ab, das Fans elektronischer Musik hinter sich vereinigte. Jeder Track stand für sich, aber alles gehörte zusammen: von der kollabierenden Techno-Melancholie in „Melt“ bis zur fast schon punkigen Energie in „Open Up“ (mit Sex Pistols-Legende John Lydon). Und mittendrin eben „Afro-Left“ – mit dem senegalesischen Musiker Djum Djum.
Dass „Afro-Left“ überhaupt als Single erschien, war eine kleine Sensation. Es war die siebte Single aus „Leftism“ – eine Zahl, wie man sie sonst eher von Michael-Jackson-Alben oder Madonna kannte. Für eine elektronische LP, deren Tracks teils sieben Minuten lang waren, war das ein Statement: Jeder Song auf „Leftism“ wurde als stark genug empfunden, um für sich zu stehen. „Afro-Left“ ist in dieser Gesellschaft fast der rätselhafteste Stück. Mit afrikanisch klingendem Vokal-Flow, in Wahrheit ohne echte Sprache. Sänger Neil Cole – alias Djum Djum – improvisierte eine Art Fantasie-Sprechgesang, der später als „Djum Djum talk“ bekannt wurde. Der Mythos, er würde in einer westafrikanischen Sprache singen, hielt sich dennoch hartnäckig. Melody Maker nannte das "so eigenständig, dass es fast schockiert". In den Clubs funktionierte die Single trotzdem. Und auch über die Tanzfläche hinaus: Der Remix „Afro Ride“ wurde Teil eines Playstation-Spiels.
„Leftism“ war nicht nur innovativ – es war offen. Offen für Dub, für Ethno-Sounds, für Punk, für Ambient. Offen für Feature-Gäste und politische Statements. Offen für ein Publikum, das mehr wollte als nur Rave. Während viele Produzenten der 90er ihre Tracks auf die Funktionalität der Dancefloor-Peak-Time hin schneiderten, dachten Leftfield in Dramaturgie. Die britische Presse überschlug sich: Mixmag kürte es zum „Album des Jahrzehnts“. Auch Rückblickend ist dieser Titel durchaus berechtigt.
Vier Jahre später brachten Leftfield den Nachfolger raus. Und mit ihm: das große Stirnrunzeln. „Rhythm and Stealth“ war nicht per se ein schlechtes Album – im Gegenteil. Es war druckvoll, modern, dystopisch. Aber es hatte nichts mehr von Experimenten, die „Leftism“ ausgezeichnet hatten. Statt Dub-Eleganz: noisige Breakbeats. Statt Weltmusik: Hip-Hop-Kollaborationen. Das wirkte irgendwie kühl. In Interviews sagten Leftfield, sie wollten bewusst nicht wiederholen, was schon funktioniert hatte. Aber die Szene – und das Publikum – war weitergezogen. 1999 sprach man von Fatboy Slim und den Chemical Brothers. Second-Album-Syndrom. Kommerziell war das Leftfield-Album kein Flop – aber damals, im Moment der Veröffentlichung, wurde es von vielen als konstruiert und abweisend empfunden.
Deshalb gilt „Afro-Left“ bis heute als der symbolische Schlussakkord einer Ära. Der Moment, in dem Leftfield noch einmal alles bündelten: globale Rhythmen, politische Energie, bassgetränkte Offenheit – ohne sich dem Club-Geschmack zu unterwerfen. Im Rückblick war das nicht nur das Ende eines Albums. Es war ein Abschied von einem Zeitgeist. Der Blick der Plattenfirmen verengte sich danach wieder. Am 24. Juli 2025 – 30 Jahre nach dem Release von „Afro-Left“ – erinnern wir uns gerne daran, wie Leftfield der elektronischen Musik einen weiteren Horizont verschafft haben.
Die Loveparade ist die größte Technoparade der Welt gewesen. Aber natürlich haben die Macher mal ganz klein angefangen, mit 150 Menschen um genau zu sein. So eine immer größer werdende Parade bringt viel Gutes, aber auch negative Seiten zum Vorschein. Genau darum geht's in "The Story / Loveparade" - erzählt von DJ Anja Schneider. Viel Spaß!
Die Loveparade ist die größte Technoparade der Welt gewesen. Aber natürlich haben die Macher mal ganz klein angefangen, mit 150 Menschen um genau zu sein. So eine immer größer werdende Parade bringt viel Gutes, aber auch negative Seiten zum Vorschein. Genau darum geht's in "The Story / Loveparade" - erzählt von DJ Anja Schneider. Viel Spaß!